02.01.2006 09:26 Alter: 19 yrs
Kategorie: IG Nachbau Bauernstimme

Kampf für Saatgut ist Kampf für Leben


Im französischen Poitiers kamen bäuerliche Interessenvertreter aus aller Welt zum Europäischen Seminar über freies Saatgut und die Erhaltung der Sortenvielfalt zusammen "Sich zu treffen, um Saatgut und Wissen auszutauschen, ist in Südamerika Tradition", sagte Francisca Rodriguez von Via Campesina aus Chile. Sie bedauerte, dieses Mal keine Samen mitgebracht zu haben. Austausch von Informationen und guten Argumenten gab es jedoch reichlich in Poitiers (Frankreich) am 24. und 25 November 2005. Dort trafen sich 170 VertreterInnen von Bauernorganisationen aus fünf Kontinenten zum Europäischen Saatgutseminar. Auch das Thema ist global: Bei der Gesetzgebung im Saatgutrecht sind internationale Abkommen im Spiel, wie das Abkommen zum Schutz der Rechte an geistigem Eigentum (TRIPS) oder die Konvention über biologische Vielfalt (CBD). Zudem sind in der Saatgutbranche weltweit agierende Konzerne tätig, die ihr wirtschaftliches Gewicht in die politischen Waagschalen legen. Deshalb müssen sich auch Bäuerinnen und Bauern weltweit vernetzen, um sich machtvoll für den Erhalt der bäuerlichen Saatgutarbeit einzusetzen und ein Bewusstsein für den Wert dieses lebensnotwendigen, gemeinschaftlichen Kulturgutes auch in den Städten zu wecken. Ein Ergebnis der Konferenz war eine gemeinsame Erklärung, die die Delegierten aus 40 Ländern verabschiedeten. Deren Kernforderung ist das unveräußerliche Recht von Bäuerinnen und Bauern auf freie Wahl ihres Saatguts sowie dessen Produktion, Nachbau und Austausch.

Recht auf Nachbau

Die Saatgutkonzerne arbeiten strategisch: So berichtete ein Entwicklungshelfer aus Mali, dort würden Agenten der Saatgutindustrie Samen an Bäuerinnen und Bauern verschenken. Den Preis müssten die Bäuerinnen und Bauern später bezahlen, in Form von Nachbaugebühren und Verlust der Sortenvielfalt. Deshalb müssen wir jetzt wach werden, wir dürfen nicht die Zukunft unserer Kinder verspielen! Wir müssen dafür kämpfen, dass das Landwirteprivileg auf Nachbau, wie es bis 1997 bestand, wieder hergestellt wird. Das spanische Saatgutnetzwerk Red de semillas schlägt den befreundeten Verbänden gemeinsame Aktionen zur bäuerlichen Saatgutarbeit vor, wie zum Beispiel Kampagnen für die Beteiligung von zivilgesellschaftlichen Organisationen an allen Verhandlungen über geistige Eigentumsrechte. Der Aktionsplan liegt der IG Nachbau in englischer Sprache vor.

Recht auf gentechnikfrei

Genmanipulation in der Züchtung ist ein sehr teures Verfahren. Es lohnt sich, wenn der Gewinn für die Saatgutkonzerne durch die Patentierbarkeit und durch ein Nachbauverbot gesichert ist. Wenn das internationale Moratorium für die Terminatortechnologie fallen gelassen würde und Saatgut auf den Markt käme, das Pflanzen mit sterilen Samen erzeugt, dann wäre der Nachbau für die Bauern sogar technisch unmöglich. Die möglichen Schäden durch Auskreuzungen auf andere Sorten oder Wildpflanzen sind kaum abschätzbar. Deshalb müssen wir uns für eine Koexistenzgesetzgebung einsetzen, die die Gentechnikanwender und die Saatgutindustrie genau für die von ihr verursachten Risiken haften lässt und die konventionellen und biologischen Bauern schützt. Unter Berücksichtigung aller Kosten und Risiken ist der Anbau von GVO nicht wettbewerbsfähig. Die österreichische EU-Präsidentschaft wird vom 4. bis 6. April 2006 eine Konferenz zur Koexistenz veranstalten, auf der wir als Bauern sichtbar sein müssen.

Recht auf genetische Vielfalt

Die Menschen haben zusammen mit der Natur über Jahrtausende eine Kulturpflanzenvielfalt geschaffen, die für fast jede Nische, die meisten Klimazonen und Böden Pflanzen bereitstellt, die zur Ernährung der Menschen beitragen können. Jede dieser Sorten besitzt womöglich genetische Eigenschaften, die eines Tages lebensnotwendig werden können. Wir brauchen das Recht, diese Sortenvielfalt zu erhalten und weiter zu entwickeln. In der EU wurde 1998 beschlossen, ein Gesetz für eine vereinfachte Registrierung von Erhaltungssorten zu schaffen. Vorschläge der Kommission wurden immer wieder von einigen Mitgliedstaaten blockiert. Der aktuelle Vorschlag nun scheint dem ständigen Ausschuss für Saatgut und Vermehrungsmaterial fast von der Europäischen Züchterorganisation (ESA) in die Feder diktiert: Die Zulassungsverfahren wären so teuer, dass sich eine Eintragung der Sorte für bäuerliche Züchter nicht lohnt. Neben Kampagnen für eine bessere Gesetzesgrundlage schlägt Red de Semillas die Schaffung von Tauschbörsen für bäuerliches Saatgut vor, um die genetischen Ressourcen für die Nachwelt zu erhalten.

Europa muss standhalten

Die Regierungen in den Entwicklungsländern stehen teilweise stark unter dem Druck der Saatgutkonzerne. Die Bäuerinnen und Bauern aus diesen Ländern hoffen darauf, dass wir hier in Europa eine rechtliche Situation schaffen, die die gentechnikfreie, bäuerliche Erzeugung schützt. Damit könnte die EU eine Vorbildfunktion für die Saatgutgesetzgebung auch für andere Staaten einnehmen und in internatonalen Verhandlungen auf die Durchsetzung der bäuerlichen Rechte dringen. Die TeilnehmerInnen aus Südamerika und Afrika haben an uns in Europa appelliert: "Ihr habt eine große Verantwortung, auch für unsere Zukunft. Denn wer über die Samen bestimmt, der bestimmt über das Leben. Und die Verantwortung über das Leben muss von vielen Schultern getragen und unter vielen Kulturen geteilt werden."

AutorInnen: Gerhard Portz, Antje Kölling

Satte Rendite säen

Der Internationale Verband zum Schutz von Pflanzenzüchtungen (UPOV) hat Ende Oktober eine Studie der Internationalen Saatgut-Vereinigung (ISF) zur Verwendung von Nachbausaatgut veröffentlicht. Demnach liegen Befragungsergebnisse aus 14 Ländern mit einer Ackerfläche von 139,9 Mio. ha vor, die belegen, dass zertifiziertes Saatgut auf 4,5 Mio. ha (32,5 %) und Nachbausaatgut auf 94,4 Mio. ha (67,5 %) der Ackerfläche verwendet werde. Hochgerechnet auf die weltweite Ackerfläche ergibt sich daraus ein zu erwartender zusätzlicher Gewinn des Saatguthandels von mehr als 100 Mrd. $/Jahr und der Saatgutzüchter von 12,5 Mrd. $/Jahr, wenn ausschließlich zertifiziertes Saatgut verwendet würde. Durch Eintragung von Patentrechten an tierischen und pflanzlichen Genen oder bei Zulassung der Terminatortechnologie könnte dieser Markt noch erheblich vergrößert werden. Bei dieser Gewinnerwartung lässt sich vermuten, dass die Saatgutindustrie bereit ist, für Lobbyarbeit in Brüssel und anderswo viel Geld auszugeben.

Autor: Gerhard Portz