Chronik

Widerstand braucht langen Atem – eine Chronik

Erste Ankündigungen wurden von Bäuerinnen und Bauern gern überlesen. Nachbaugebühren wollten die Pflanzenzüchter erheben. Nicht mehr nur beim Kauf neuen Saatgutes sollte man also Lizenzen zahlen sondern auch wenn man die eigene Ernte wieder in die Erde brachte. Man nahm das Ganze erst nicht so recht ernst, es schien abgehoben und unverschämt und außerdem, wie wollten denn die Pflanzenzüchter an die Informationen herankommen wer was nachbaut? Plötzlich wurde es schneller ernst als den Bäuerinnen und Bauern lieb war, als Ende 1997/Anfang 1998 die landwirtschaftlichen Zeitungen begannen zum Thema zu berichten und die Saatgut-Treuhandverwaltungs GmbH (STV) begann ihre umfangreichen Fragebögen zu verschicken. Sie war als zentrale Vollstreckungsorganisation von den Pflanzenzüchtern beauftragt, die nötigen Informationen zusammenzutragen und die Nachbaugebühren zu erheben. Plötzlich begann es auf dem Land zu rumoren, schließlich fiel den meisten Bäuerinnen und Bauern auch erst jetzt auf, das ihre Interessenvertretung, der deutsche Bauernverband (DBV) mit den Pflanzenzüchtern gemeinsame Sache gemacht und ein Kooperationsabkommen ausgehandelt hatte. Dies erkannte den grundsätzlichen Anspruch der Züchter Nachbaugebühren zu erheben an, es gestaltete lediglich die Zahlungskonditionen. Gewehrt hatte sich der Bauernverband nicht gegen den Anspruch der Züchter. Widerstand keimte erst auf als 1999 aus Kreisen der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) die Interessengemeinschaft gegen die Nachbaugebühren und Nachbaugesetze (IGN) gegründet wurde. Man suchte und fand engagierte Anwälte, die bereit waren die komplexe rechtliche Materie vor die Gerichte zu tragen und die Bäuerinnen und Bauern dort zu vertreten, die sich weigerten den Auskunftsersuchen der STV nachzukommen, geschweige den Gebühren zu zahlen.

Es begann Ende 1999 mit einer Niederlage. Das Landgericht in Mannheim war das erste deutsche Gericht, das zur Auskunftspflicht urteilte – gegen den beklagten Bauern und Mitstreiter in der Interessengemeinschaft gegen die Nachbaugebühren und Nachbaugesetze. Die Richter hatten den allumfassenden Auskunftsanspruch, den die STV als alleiniger Vollstreckungsgehilfe der Pflanzenzüchter in Sachen Nachbaugebühren gegenüber Bäuerinnen und Bauern geltend macht, im Wesentlichen anerkannt. Züchter und STV triumphierten. Wenn in jedem Bundesland das eine für Sortenschutzangelegenheiten zuständige Landgericht ein ähnliches Urteil gesprochen hätte, wäre die Angelegenheit schnell vom Tisch gewesen. Zunächst handelten weitere Richter entsprechend. Der Bauernverband ließ keine Gelegenheit aus zu betonen, dass man keine andere Wahl habe, als der STV die rechtlich verbriefte und gerichtlich bestätigte Auskunft zu geben. In Braunschweig zerplatzte die Seifenblase von den einfachen Wahrheiten. Im Februar 2000 verkündete das dortige Landgericht, man erkenne in der EU-Verordnung eine Pflicht zur allgemeinen Auskunft, die vom deutschen Gesetzgeber bewusst so weitreichend nicht übernommen wurde. Zudem sahen die Braunschweiger Richter (wie auch ihre Kollegen in einem damals noch laufenden Verfahren in Düsseldorf) Parallelen zum gewerblichen Rechtsschutz, dem Urheber- und Wettbewerbsrecht, in dem es „anerkannt“ sei, „dass der Inhaber der Rechte eine Verletzung nachweisen muss“. Die Braunschweiger Richter unterschieden hinsichtlich der Nachbauauskunft also zwischen den auf nationaler und den auf EU-Ebene geschützten Sorten. Für national geschützte Sorten galt nun, dass im Prinzip der Sortenschützer dem Bauern nachweisen muss, dass er Nachbau mit seiner Sorte betreibt, bevor er Auskunft verlangen kann. Für den Nachbau von EU-geschützten Sorten erkannte das Gericht eine generelle Auskunftspflicht an. Damit entstand in der Praxis die absurde Situation, dass die im Zuständigkeitsbereich des Landgerichts Braunschweig lebenden niedersächsischen Bäuerinnen und Bauern anders mit der Nachbauauskunft umgehen konnten als der Rest der Republik und dass sie unterscheiden sollten zwischen nationalen und EU-Sorten und Auskünften. Das rief geradezu nach dem von der IGN geforderten Nachbaugebühren-Moratorium. Schließlich geißelten auch die STV-Anwälte das Urteil als praktisch nicht umsetzbar, da die Sortenschutzinhaber auf den Äckern wohl kaum auf die Schnelle erkennen könnten, wo ihre Sorten wachsen, ganz zu schweigen davon, dass sie sehen könnten, ob es sich um Nachbau handelt oder nicht.

 

Politik sieht keinen Handlungsbedarf

Ein Aussetzen der laufenden Verfahren, wie es damals sogar DBV-Präsident Sonnleitner intern in einem Brief an die Pflanzenzüchter forderte, kam für diese jedoch nicht in Betracht. Die offizielle Linie des DBV, zumindest seiner Spitze, blieb trotz dieser Abfuhr für den Präsidenten der Schmusekurs mit den Züchtern. In einem Rundschreiben an die Kreisstellen hieß es, die Beratung solle weiter an der bisherigen Praxis festhalten, durch alles andere würden nur „Bauern in Prozesse getrieben, aus denen sie letztlich als Verlierer herausgehen werden“. Der Staatssekretär im damaligen Bundeslandwirtschaftsministerium, Martin Wille, sah keinen politischen Handlungsbedarf. Bundestagsabgeordnete verschiedener Parteien, mit denen die IGN Gespräche führte, zeigten sich verblüfft darüber, dass es zu dieser Kontroverse überhaupt kommen konnte, schließlich habe man doch im Gesetz nur festgeschrieben, was Bauernverband und Bundesverband deutscher Pflanzenzüchter vorher im Kooperationsabkommen ausgehandelt hatten.

 

Keine Auskunftspflicht für alle

Im Sommer 2000 schloss sich dann auch die durch die Berufung der STV aktiv gewordene nächsthöhere Instanz, das Oberlandesgericht in Braunschweig, der Auffassung des Landgerichtes an. Der vorsitzende Richter erläuterte, es gebe entgegen der Auffassung der Klägerin (STV) keine Erstreckung des Auskunftsanspruches auf alle Landwirte, denen die Gesetzgebung die theoretische Möglichkeit des Nachbaus einräumt. Man vertrete diese Auffassung auch, wenn das Resultat unpraktisch und nicht sehr überzeugend sei. Er fügte hinzu: „Aber wenn ein Gesetz schlecht gemacht ist, ist das nicht unser Problem.“ Die Richter ließen eine Berufung zu und machten damit den Weg frei zum Bundesgerichtshof (BHG), dem höchsten deutschen Zivilgericht. Für die IGN war das ein riesiger Erfolg, hatte man doch immer zum Ziel gehabt, durch eine höchstrichterliche Instanz die Aufmerksamkeit der Politik zurück auf das Thema zu lenken. Aber es sollte noch besser kommen. Kurz nach dem spektakulären Urteil von Braunschweig musste sich auch das Oberlandesgericht in Frankfurt mit dem Nachbau auseinander setzen. Das Landgericht hatte einen hessischen Bauern zur Auskunft verurteilt, der mit Hilfe der IGN Berufung einlegte. Das Oberlandesgericht sah sich nicht in der Lage, die Fragen rund um die Auskunftspflicht eindeutig zu beantworten. Es verwies den Prozess an den obersten europäischen Gerichtshof (EuGH). Dieser soll klären, ob die EU tatsächlich (wie ja in Braunschweig angenommen) eine allgemeine Auskunftspflicht der Bäuerinnen und Bauern in ihrer Verordnung festschreiben wollte oder nicht. Ein halbes Jahr später schickte auch das Oberlandesgericht Düsseldorf ein laufendes Verfahren mit ähnlichen Fragen zum EuGH.

 

Klagewelle führt zu Ablasshandel

Trotzdem oder vielleicht weil die STV ihre Felle davonschwimmen sah, startete sie im Spätsommer des Jahres 2000 eine Klagewelle in den Bundesländern, in denen die Landgerichte zu ihren Gunsten urteilten. Besonders viel Arbeit kam auf das Gericht in München zu. Über 1.000 Bäuerinnen und Bauern erhielten eine Klageschrift der STV. Der Bayerische Bauernverband (BBV) ließ sich daraufhin auf einen Ablasshandel ein. Im Bayerischen Wochenblatt ließ er verkünden, dass diejenigen, die der STV-Klage nachgeben wollten, schnell schriftlich gegenüber der Rechtsanwaltskanzlei der STV und dem Landgericht München die gewünschte Auskunft erteilen sollten. Die Klage würde dann zurückgenommen. „Weiter ist erforderlich, in diesem Falle der Rechtsanwaltskanzlei einen Betrag in Höhe von 173,50 DM beispielsweise per Scheck zukommen zu lassen.“ Die IGN forderte erneut zumindest das vorläufige Ende des Eintreibens der Auskünfte und Gebühren sowie den Stopp aller gerichtlichen Auseinandersetzungen von den Pflanzenzüchtern und der STV. Um den Forderungen Nachdruck zu verleihen und die Verantwortlichen einmal direkt zur Rede zu stellen, statteten 60 Bäuerinnen und Bauern im Herbst 2000 der STV-Zentrale einen Besuch ab. Nachdem man sie zunächst vor der Tür abfertigen wollte, drängten sie in das Gebäude. Die STV verurteilte in einer eigens aufgelegten Hochglanzbroschüre den Hausfriedensbruch und die Verängstigung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Ob wirklich Hausfrieden zu Bruch ging, sei dahingestellt. Zunächst angestrengte juristische Ermittlungen gegen einzelne Beteiligte wurden ohne Verfahren später wieder eingestellt. Immerhin gelang es den Bäuerinnen und Bauern im Hausflur mit dem stellvertretenden BDP-Geschäftsführer Joachim Winter ins Gespräch zu kommen. Er machte deutlich, dass er ein bundesweites Moratorium im Interesse der Züchter nicht unterstützen könne und fügte hinzu: „Ich hab’noch keinen Landwirt gesehen, der wegen Nachbaugebühren Pleite gehen muss“. Die Nachbaugebühren waren nun Thema in landwirtschaftlichen Diskussionsrunden. Erstmals äußerte sich Bundeslandwirtschaftsminister Karl- Heinz Funke öffentlich. Er gab sich wenig politisch weitsichtig: die Sortenschutzinhaber seien für die Wahrung ihrer Interessen selbst verantwortlich und die Gerichte müssten die Angelegenheit klären. Der SPD-Bundestagsabgeordnete Heino Wiese hingegen forderte eine „Neuregelung der Nachbaugebühren“. Die beiden Anwälte der IGN bekamen die Gelegenheit, vor dem EU-Agrarausschuss ihre Positionen darzustellen. Auf der Sitzung berichtete ein Mitglied der EU-Kommission, dass auch die EU-Nachbaugesetze, die ja die Grundlage der nationalen Verordnung sind, erst nach intensiven Beratungen auch mit der europäischen Bauernverbandsorganisation COPA und den Pflanzenzüchtern zustande gekommen waren.

 

Höhe der Gebühren umstritten

Anfang des Jahres 2001 begannen Gerichte sich mit dem nächsten Aspekt des Themas auseinander zu setzen – den eigentlichen Gebühren. Das Landgericht Hamburg verurteilte als erstes deutsches Gericht einen Bauern auf Zahlung der Nachbaugebühren, nachdem der zwar das Kooperationsabkommen unterschrieben, sich aber geweigert hatte zu zahlen. In Frankfurt stand ein Bauer vor Gericht, der das Kooperationsabkommen nicht unterschrieben und 50 Prozent der Z-Lizenzen als Nachbaugebühren überwiesen hatte. Die STV wollte 80 Prozent der Z-Lizenzen, da sie diese Gebührenhöhe in ihrem Kooperationsvertrag für das „gesetzliche Verfahren“ ausloben. Die EU-Verordnung schreibt fest, dass 50 Prozent der Z-Lizenz eine angemessene Nachbaugebühr sei, wenn es in den Nationalstaaten keine speziellen, ausgehandelten Verfahren gibt (wie zum Beispiel in Deutschland das Kooperationsabkommen zwischen Bauernverband und Züchtern mit der 80-Prozent-Regelung). Was zunächst aussieht wie das Ringen um ein paar Prozente, ein paar D-Mark oder Euro mehr oder weniger, sind in Wahrheit juristische Mosaiksteine in einem Gesamtbild, das am Ende dafür sorgen soll, dass politisch neu verhandelt wird. Insofern sei der IGN verhaltener Jubel gestattet als das Landgericht Frankfurt urteilte, dass 50 Prozent der Z-Lizenzen als Nachbaugebühr in Ordnung gehen. Es ließ sogar offen, ob es nicht auch sogar eine geringere Gebühr akzeptiert hätte. Eine Besonderheit barg dieser Prozess noch: erstmals war der Bauernverband auf Seiten des beklagten Bauern beteiligt. In dem Teilaspekt „Gebührenhöhe“ war man nämlich auf einer Linie mit der IGN, zur Auskunftspflicht stand man nach wie vor. Wenig später musste sich auch das Landgericht in Düsseldorf erstmals mit einem Gebührenprozess befassen. Es erkannte 80 Prozent der Z-Lizenz als angemessene Höchst-Gebühr an, sah aber eine „arglistige Täuschung“ im Kooperationsabkommen. Dessen Text lese sich so, als seien die 80 Prozent gesetzlich festgeschrieben und nicht nur eine willkürliche Festlegung der STV. Das Landgericht München (an dem sich mittlerweile drei Kammern mit Nachbauangelegenheiten befassen, die oftmals zu unterschiedlichen Entscheidungen kommen) warf die Fragen auf, wie die Gebührenhöhen überhaupt zustande kommen, wie Z-Lizenzen gestaltet werden, was eigentlich eine „angemessene Gebühr“ ist. Eine bedeutsame Krux offenbarte sich vor dem Landgericht in Braunschweig. Dort war ein Bauer im Rahmen des „gesetzlichen Verfahrens“ zur Zahlung von 410,88 DM für den Nachbau der Kartoffelsorte Linda veranlagt worden. Hätte man die Nachbaugebühr anhand der gemittelten Durchschnittswerte, die in den Unterlagen des Kooperationsabkommens auftauchen, errechnet, hätte er lediglich 205 DM zahlen müssen. Nicht anders stellte sich die Situation für den Rest seiner Kulturen dar. Das Gericht entschied, dass so eine Ungleichbehandlung nicht rechtens ist.

 

Vorgehen ist kartellrechtswidrig

Bereits im April 2001 hatte das Landgericht Braunschweig auf die von der IGN regelmäßig vorgebrachten kartellrechtlichen Bedenken gegenüber der Daten- und Gebührenerhebung an einer zentralen Stelle (STV) reagiert. Ohne die Bedenken ausdrücklich zu teilen, reichten sie einen Gebührenfall an die Kartellrechtskammer des Landgerichtes in Hannover weiter. Diese urteilte wenig später, dass das Kooperationsabkommen „wettbewerbsrechtlich unzulässig“, da eine „verbotene horizontale Vereinigung unter Wettbewerbern“ sei. Den Bauern sei die Möglichkeit genommen, von einem Wettbewerb zwischen den Züchtern zu profitieren. Kurz darauf äußerte auch die höchste deutsche Wettbewerbsbehörde, das Bundeskartellamt, dass sie das Vorgehen der STV für kartellrechtswidrig halte und diese aufgefordert habe Konsequenzen zu ziehen. Daraufhin fügte die STV einen Zusatz in ihre Formulare ein. Danach stehe es jedem Landwirt frei, jeden Züchter auch direkt zu kontaktieren und individuelle Vereinbarungen zu treffen.

 

Bundesgerichtshof lehnt allgemeine Auskunftspflicht ab

Im Sommer 2001 geriet erneut Bewegung in die Prozesse um die Auskunftspflicht. Das Landgericht Düsseldorf entschied, alle laufenden Auskunfts- Verfahren auszusetzen und keine neuen mehr zuzulassen, bis der EuGH seine Entscheidung getroffen habe. Mitten in die Ernte platzte die EU-Kommission mit einer aufsehenerregenden Stellungnahme zur Auskunftspflicht. Sie war, wie alle Mitgliedstaaten auch, vom EuGH aufgefordert worden, die Sachlage aus ihrer Sicht darzustellen. Man verkündete, die Informationspflicht beziehe sich nicht auf alle Landwirte schlechthin. Insbesondere unterlägen jene nicht der Auskunftspflicht, die niemals die geschützte Sorte eines bestimmten Züchters in ihrem Betrieb verwendet haben. Mit Spannung blickten Bäuerinnen und Bauern nach Karlsruhe, wo Ende September 2001 die Verhandlung vor dem Bundesgerichtshof (BGH) und vor 60 angereisten Bäuerinnen und Bauern stattfand. Das Gericht wog ab, wolle „die Interessen der Züchter wie auch der Landwirte angemessen berücksichtigen“ und sah die geringe Praktikabilität und die Disharmonie mit der EU-Verordnung in den Braunschweiger Urteilen. Und trotzdem lehnten die rotberobten Richter schließlich einen allgemeinen Auskunftsanspruch ab. Plötzlich hatten die Nachbaugebühren mit Schlagzeilen wie „Züchter verlieren sprudelnde Geldquellen“ ihren Weg in die allgemeinen Medien gefunden, während die Pflanzenzüchter den Züchtungsfortschritt bedroht sahen. Besonders kühn zeigte sich der Bauernverband mit der Schlagzeile „BGH weist Saatgut-Treuhand in ihre Grenzen – DBV-Haltung zum Auskunftsverfahren bestätigt“. Plötzlich hatte man es ja schon immer gewusst, wenngleich man zuvor etwas ganz anderes gesagt hatte. Sollte man nun meinen, die Politik, vom obersten deutschen Gericht zum Handeln aufgefordert, springe auf die Angelegenheit an und rücke die Dinge zurecht, so irrt man. Zwar sah der an der Materie interessierte und bereits genannte Abgeordnete Wiese das Kooperationsabkommen als gescheitert an, er blieb aber auch der einzige gewählte Volksvertreter, der sich auf höherer Ebene zu Wort meldete. Stattdessen stieg die STV mit einer massiven Telefonkampagne und leicht veränderten Formularen (Trennung der Formblätter in „Kooperationsabkommen“ und „gesetzliches Verfahren“) in die nächste Runde zum Eintreiben der Nachbaugebühren. Zwar wurden alle laufenden Auskunftsverfahren bis zur Entscheidung des EuGH auf Eis gelegt und die Pflanzenzüchter sprachen davon, sich mit allen Beteiligten an einen Tisch setzen zu wollen. Vorher versuchten sie unter dem Siegel der Verschwiegenheit noch das Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft davon zu überzeugen, dass die allgemeine Auskunftspflicht im Gesetz verankert werden müsse – erfolglos.

 

Züchterlobby setzt „Spione“ ein

Parallel ließen und lassen die Pflanzenzüchter und die STV nichts unversucht, um an möglichst viele Bauerndaten heranzukommen, damit ein unter Umständen für sie nachteiliges EuGH-Urteil letztlich nur noch Makulatur ist. So wurden nun auch vermehrt Aufbereiter von Saatgut oder Verleiher von Aufbereitungstechnik gedrängt, Kundendaten zu veröffentlichen. Auch für den Einsatz von „Spionagemethoden“ war sich die STV nicht zu schade, was einmal mehr verdeutlicht, von welch brisanter Bedeutung der ausgeforschte, datenerfasste Bauer für seinen Marktpartner, den Pflanzenzüchter, ist. In Bayern legte die STV während des Prozesses gegen einen nicht auskunftswilligen Bauern Kostenrechnungen über die Aufbereitung von Weizen- und Gerstenpartien sowie über den Bezug von Beizmitteln vor. Die Quittungen hatten sich die „Nachbauspitzel“ im Rahmen einer Routinekontrolle über die für den Bauern aufbereitende Genossenschaft besorgt. Das Landgericht in München urteilte, dass die bloße Vorlage von einzelnen Rechnungen, die zudem aus nach dem konkreten Nachbaujahr liegenden Zeiträumen stammten, nicht ausreichen, um eine umfassende Auskunft einfordern zu können. Die Berufungsverhandlung steht noch aus.

 

Anwalt des EuGH gegen generelle Auskunftspflicht

Im Frühjahr 2002 fand die mit Spannung erwartete Verhandlung vor dem EuGH in Luxemburg statt. Sie beeindruckte durch die fundierte Debatte, die dank des gut informierten Gerichts (allen voran der Generalanwalt Dàmazo Ruiz-Jarabo Colomer) und dem anwesenden Anwalt der EU-Kommission entstand. Der Generalanwalt, eine in deutschen Gerichten unbekannte juristische Figur, der mit seinen Fragen durch die Verhandlung führt und später eine Urteilsempfehlung an das Gericht abgibt, stieg bereitwillig in die formalen Schlangengruben der Nachbauverordnungen. Auf die Frage des Generalanwaltes, ob es eine generelle Verpflichtung sein sollte oder ob die Sortenschutzinhaber die Verwendung ihrer Sorten im landwirtschaftlichen Betrieb nachweisen müssten, antwortete der Kommissions-Anwalt, eher Letzteres sei gewollt gewesen. Daraufhin veröffentlichte der Generalanwalt einen richtungsweisenden Schlussantrag, mit einem klaren Votum gegen eine generelle Auskunftsverpflichtung. Und Aufbereiter dürften nur Auskunft erteilen, wenn sie von ihren Kunden dazu ermächtigt werden. Der BDP behauptete daraufhin, dem Generalanwalt seien merkliche Fehlschlüsse unterlaufen. Man drängte auf Einstellung des Verfahrens, um in einem ähnlichen Verfahren noch einmal Gelegenheit zu bekommen die „unzutreffenden Ausführungen“ richtig zu stellen. Dies wurde abgelehnt. Allerdings konnten die Anwälte der STV in einem gleich gelagerten Fall den Generalanwalt nicht davon überzeugen, dass er auf dem Holzweg ist. Auf die Urteile darf man gespannt sein. Längst war nun auch dem Bauernverband klar, dass das Kooperationsabkommen in seiner derzeitigen Form obsolet ist. Man traf sich in trauter Zweisamkeit mit den Pflanzenzüchtern, um es zu modifizieren. Das Grundprinzip der Ausforschung sollte allerdings erhalten bleiben. Die sich langsam für die Problematik erwärmende Bundesministeriumsspitze bekam von der zuständigen Fachabteilung einen bewertenden Bericht zum Thema vorgelegt. Im Ergebnis wird kein Änderungsbedarf an der Nachbauregelung gesehen und festgestellt: „Die Nachbauregelung wird von der großen Mehrheit der Landwirte akzeptiert“. Lügen gestraft wurde das Papier von einer im Sommer 2002 hochbrandenden Debatte in der Agrarfachzeitschrift DLZ. Dort waren Bäuerinnen und Bauern zu Stellungnahmen zu verschiedenen, von den Pflanzenzüchtern vorgestellten Alternativmodellen zum Kooperationsabkommen aufgefordert worden. Die Mehrheit befand keines der Modelle für geeignet. Stattdessen erging vielfach die Aufforderung an die Züchter, sie sollten sich endlich dem Markt stellen und ihre Produkte attraktiver machen. Und ein erster Kreisbauernverband (Lüchow-Dannenberg) verabschiedete offiziell die Aufforderung an die Verbandsspitze, endlich aus dem Kooperationsabkommen auszusteigen und die weitere Ausforschung der Bäuerinnen und Bauern durch die STV nicht länger zu tolerieren.

 

Nach den Bauern nun Aufbereiter im Visier

Die Anwälte der STV zerren seit dem Sommer 2002 reihenweise Aufbereiter vor den Kadi – trotz der Kritik von Seiten der IGN, dass der STV damit die BGH-Rechtsprechung unterlaufe. Der Erfolg ist geteilt: zwar stellten sich die Landgerichte Hamburg, Braunschweig und Kaiserslautern auf die Seite der STV und erließen einstweilige Verfügungen gegenüber den Beklagten, die bei ihrer tatsächlichen Umsetzung eine zeitweilige Einstellung ihrer Aufbereitertätigkeiten zur Folge hätte. Das Landgericht in Hamburg ging zunächst sogar noch einen Schritt weiter und verurteilte einen Aufbereiter zur Herausgabe seiner Kundendaten. Inzwischen sind sich die hanseatischen Richter ihrer Sache allerdings nicht mehr so sicher: In einem weiteren Fall gibt es einen Hinweisbeschluss, der auf eine Aussetzung des Verfahrens abzielt. Das Landgericht Mannheim lehnte eine einstweilige Verfügung gegen einen beklagten Aufbereiter ab. Ebenso wie die Richter in München und Düsseldorf bezogen sie in ihre Urteilsfindung mit ein, dass eigentlich nicht über die Auskunftspflicht der Aufbereiter entschieden werden kann, bevor die Frage der Auskunftspflicht der Bäuerinnen und Bauern endgültig geklärt ist. Deshalb hat das Landgericht Düsseldorf schließlich den richtungsweisenden Beschluss gefällt, auch die Aufbereiterauskunft vor dem EuGH verhandeln zu lassen. Noch vor dieser letzten positiven juristischen Entwicklung scheint auch auf politischer Ebene endlich etwas Vernünftiges in Bewegung gekommen zu sein. Es traf sich eine Elefanten-Runde aus Bauernverband, Pflanzenzüchtern, Raiffeisen-Verband, AbL, Saatgut- Vermehrerverband und Interessengemeinschaft gegen die Nachbaugebühren und Nachbaugesetze auf Einladung von Matthias Berninger, Staatsekretär im Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft. Resultat war die Einrichtung einer Arbeitsgruppe zum Vorschlag der IGN, ein Fondsmodell zu entwickeln.