04.07.2024 15:52 Alter: 102 days
Kategorie: IG Nachbau Bauernstimme
Von: Gyso von Bonin und Gerhard Portz, Sprecher IG Nachbau, Bauernstimme Juni 2024

Kulturpflanzenvielfalt bleibt auf der Strecke

Europäischer Austausch steht unter dem Aspekt immer restriktiverer Züchterforderungen


Mitte Mai trafen sich 14 Vertreter aus sieben europäischen Ländern zum jährlichen EMSA-Treffen (European mobile seed association) in Osina (Polen). Bei den Mitgliedern von EMSA handelt sich im Wesentlichen um Lohnunternehmer, die mit einer oder mehreren mobilen Saatgutreinigungsanlagen auf die Höfe fahren, Erntegut reinigen und auf Wunsch beizen. Manche Maschinen schaffen bis zu 20 Tonnen in der Stunde. In Großbritannien werden so circa 150.000 Tonnen aufbereitet, in Frankreich circa 630.000 Tonnen. In Frankreich werden ebenso viele Kartoffeln vor dem Pflanzen mit riesigen mobilen Aufbereitern geschnitten und gebeizt. Wir konnten feststellen, dass diese Maschinen eine hervorragende Arbeit machen. Die Betreiber der Anlagen sind Spezialisten und stecken viel Verantwortung und Know-how in die bestmögliche Arbeit und damit auch in den Erfolg. Dadurch ist der Verkauf von Z-Saatgut in Frankreich in den letzten Jahren um über 20 Prozent zurückgegangen. Die Qualität des Saatgutes und die Wirtschaftlichkeit der Betriebe hat sich verbessert. Die perfekte Aufbereitung trägt oftmals viel mehr zur Ernte bei als neu eingesetztes Saatgut, wie die Züchter es behaupten. Das zeigt, wie wichtig richtig aufbereitetes Erntegut zur Aussaat ist. Befasst wird sich auch mit alternativen Beizmitteln.

So eine Maschine kann bis zu 200.000 Euro kosten. Ein Aufbereiter in Polen verlangt 45 Euro pro Tonne für die Reinigung, in Frankreich kann das für Biogetreide auch schon mal bis zu 160 Euro pro Tonne kosten je nach Verunreinigung. Doch das Ergebnis muss für beide Seiten stimmig sein. Zu bedenken ist, dass der Saatgutmarkt in Europa ohne die Aufbereiter nicht zu bedienen wäre. Die Ernährung wäre nicht gesichert.

 

Situation in Europa

Die Züchterhäuser in der EU verkaufen viel Saatgut in die Ukraine und nach Russland. Hier werden keine Nachbaugebühren verlangt. Etliche Millionen Tonnen Erntegut landen von dort auf dem hiesigen Markt. Die polnischen Bauern haben sich über die ukrainischen Getreideimporte beschwert, welche ihnen und dem Markt den Garaus machen. Anstatt in Afrika landet das meiste Getreide dort, wo das Kapital ist. Teilnehmer des EMSA-Treffens sagten uns, dass circa 80 Prozent der ukrainischen landwirtschaftlichen Flächen in westlichen Händen seien und diese harte Währung wollten. In Frankreich werden die Nachbaugebühren über eine zentrale Abgabe beim Verkauf von Konsumgetreide finanziert. Hierbei werden 1,05 Euro pro Tonne an die Züchter abgegeben, insgesamt ein Volumen von circa 18 Millionen Euro. Das Geld geht automatisch vom Händler an eine Inkassofirma ähnlich der Saatguttreuhand. Keine Fragen an den Landwirt, keine Auskunft. Bei Kartoffeln müssen die Anbauer sich dort selbst erklären.

In England wird das Geld von den mobilen Saatgutaufbereitern beim Reinigen und Beizen sofort mit berechnet. Dafür erhalten die Aufbereiter eine Entschädigung. Es gibt keine Fragen, keine Auskünfte von den Bauern. Aber die Aufbereiter und Bauern klagen über die immer höher werdenden Kosten. In Polen bezahlen die Bauern keine Nachbaugebühr, Z-Saatgut wird nur auf rund 13 Prozent der Fläche genutzt. Den meisten Bauern ist Z-Saatgut zu teuer. Sie glauben an ihr selbst erzeugtes Erntegut und haben festgestellt, dass bei einer guten Reinigung die Qualität besser ist. Es wird viel Getreide unter den Bauern getauscht, somit gibt es eine große erhaltenswerte Kulturpflanzenvielfalt. In Luxemburg und Österreich gibt es ebenso keine Nachbaugebühren. In Dänemark werden Nachbaugebühren auch über die mobilen Saatgutreinigungsfirmen verlangt. Die Bauern beschweren sich über den bürokratischen Aufwand und die hohen Kosten. Wir erzählen auf dem EMSA-Treffen von den neuen Hürden beim Verkauf von Erntegut an den Landhandel nach dem aktuellen Urteil des Bundesgerichtshofs. Alle Teilnehmer waren entsetzt über die Vorgehensweise der STV und des Handels. Sie haben Angst, dass das jetzige Vorgehen der STV und der aufnehmenden Hand eine Steilvorlage für die Züchter sein könnte, das Gesetz EU-weit so umzuändern, dass kein Getreide von freien Sorten und Kleinbauern vom Handel mehr aufgenommen wird. Das neue Urteil gilt ebenso für Gemüse, Obstpflanzen und in Zukunft vielleicht auch für Tiere.

 

Saatgut ist ein Markt

Die Züchter könnten uns Bauern mit günstigem Z2-Saatgut ein Angebot machen. Ein Weizenkorn hat 108.000 Gene – Gene, die seit circa 15.000 Jahren durch Selektieren, Anbauen und Naturereignisse von unseren Vorfahren durch viel Mühe und Arbeit in das Korn eingebunden wurden. Wenn ein Züchter ein Gen oder auch 100 Gene verändert, dann kann das nicht sein geistiges Eigentum sein. Wenn ein Bauer eine Sorte drei oder fünfzehn Mal nachbaut, dann ist die Sorte nicht mehr dieselbe. Wir haben jährlich zwischen 700 und 1.000 Mutationen auf einem Hektar Fläche. Somit hat der Bauer etwas Neues gezüchtet, was dann sein geistiges Eigentum sein könnte.

Im europäischen Vergleich sind die eingenommenen Nachbaugebühren plus Lizenzgebühren in Deutschland mit durchschnittlich 77 Euro pro Tonne Saatgut  am höchsten. Zum Vergleich: In Frankreich sind es lediglich 58 Euro pro Tonne. Deutschland braucht circa 650.000 Tonnen Saatgut, bestehend aus 370.000 Tonnen Nachbau und 280.000 Tonnen Z-Saatgut. Frankreich braucht circa 1.000.000 Tonnen Saatgut, bestehend aus 630.000 Tonnen Nachbau und 370.000 Tonnen Z-Saatgut. In Deutschland werden 15 Millionen Euro Nachbaugebühren erhoben und 35 Millionen Euro Lizenzgebühren. In Frankreich sind es 18 Millionen Euro Nachbaugebühren und 40 Millionen Euro Lizenzgebühren. Man muss sich schon fragen, was die Züchter, die aufnehmende Hand und der Bauernverband den Bauern vorwerfen und warum sie sie nicht verteidigen gegen das unverantwortliche Vorgehen der STV.

 

Allgemein- und Kulturgüter

Wenn das BGH-Urteil vom November 2023 so umgesetzt wird, wie es von den Züchtern ausgelegt wird, verlieren wir unsere Vielfalt auf dem Acker – das Erbe unserer Vorfahren nicht nur hier, sondern weltweit. Die Züchtungsunternehmen glauben, sie seien die Macher der zukünftigen Ernten. Dabei beruht ihr Erfolg auf der Arbeit unserer Vorfahren. Die weltweit 830 Millionen Bauern haben die Feldfrüchte gehegt und gepflegt, die Natur beobachtet und mit ihr gearbeitet. Wir werden Vielfalt brauchen, um die Probleme der Zukunft zu bewältigen. Mit der Genschere und patentiertem Saatgut wird der Hunger der Welt nach guten Lebensmitteln nicht gestillt werden können. Die Erfahrung der Bauern und Landarbeiter und ihre Aufmerksamkeit und Arbeit stecken im täglichen Brot der Menschen. Dem sollte man mehr zutrauen als einem Chemielabor. Freier Nachbau von unserem Erntegut ist wichtig. Von alters her waren Bauern und Züchter Partner, die zum Wohle der Bevölkerung gearbeitet haben. Die jetzigen Züchterrechte verletzen Allgemeingut, weil sich mit ihnen börsenorientierte Unternehmen die jahrtausendealten Kulturgüter aneignen wollen.

 

Gyso von Bonin und Gerhard Portz, Sprecher der IG Nachbau